Petr Bezruč (1867–1958, mit eigentlichem Namen Vladimír Vašek) gehört zu den bedeutendsten Vertretern der tschechischen Poesie an der Wende des 19. und 20. Jahrhunderts. In die Literatur ist er mit seiner einzigen Sammlung, Slezské písně – Schlesische Lieder, eingetreten. Mit ihrem Stil haben die absolut ungewöhnlichen Verse keinerlei Parallele in der tschechischen Literatur, genauso wenig wie die exaltierte Art und Weise des Schaffens von Bezruč. Literarisch wird der Autor von Historikern in die Generation der sogenannten anarchistischen Rebellen eingeordnet; sein Werk ist durch den Symbolismus und die Tschechische Moderne beeinflusst worden.
Der Geschichte der Entstehung der einzigen Gedichtsammlung Bezručs widmeten und widmen auch weiterhin viele Forscher ihre Aufmerksamkeit. Der Schaffensprozess, in dem die Schlesischen Lieder entstanden sind, hatte mehrere Phasen. Die Anfänge kann man an den Beginn der 90er Jahre des 19. Jahrhunderts festmachen, noch vor jenem kritischen Herbst des Jahres 1898, als der Dichter an einer Lungenblutung erkrankte. Wahrscheinlich ist, dass ein wesentlicher Teil der Sammlung (der sogenannte Kern der Schlesischen Lieder) innerhalb eines sehr kurzen Zeitraums in den ersten Monaten des Jahres 1899 entstanden ist. Bezručs ungestüme schöpferische Anspannung wurde durch eine ernste Lungen – und Nervenkrankheit und durch das persönliche Erleben einer unerfüllten Liebe sowie vom Gefühl einer Verpflichtung, einen leidenschaftlichen Protest gegen die nationale und soziale Unterdrückung in der heimatlichen Region auszudrücken, ausgelöst.
Im Verlauf der Jahre 1899 und 1900 schickte Bezruč die meisten Gedichte, die die Grundlage seines Lebenswerks bildeten, an Jan Herben. 1903 gab der Autor seine Einwilligung zur Edition der Zeitschriftenausgabe der Schlesischen Nummer – Slezské číslo (zunächst 22 Gedichte, ein Jahr später 31 Gedichte). 1909 wurde die Sammlung wesentlich erweitert – auf 54 Gedichte – und erstmals in Buchform als Slezské písně – Schlesische Lieder herausgegeben.
Der Dichter hat während seines gesamten schöpferischen Lebens kein anderes Werk als die Schlesischen Lieder herausgegeben. An dieser Sammlung hat er allerdings ohne Unterlass gearbeitet, die Gedichte überarbeitet, rhythmisch angepasst oder neue Gedichte hinzugefügt. Man muss allerdings einräumen, dass sich diese Bearbeitungen nicht immer zugunsten der Sache vollzogen haben. Vor allem Bezručs Eingriffe aus den dreißiger Jahren beginnen sich hinsichtlich der Qualität und Quantität negativ von den vorausgegangenen Bearbeitungen zu unterscheiden, sie sind von einem linguistischen Interesse geleitet und führen mechanisch sprachliche Änderungen durch. Im Hinblick auf die große qualitative Verschiedenartigkeit der einzelnen Ausgaben wurde die definitive Textform der Schlesischen Lieder somit Gegenstand von Streitigkeiten. Die wissenschaftliche Konferenz über textuelle Probleme der Schlesischen Lieder im Jahr 1963 in Opava/Troppau setzte für den kanonischen Text die Ausgabe aus dem Jahr 1928 als Ausgangspunkt fest.
Die dichterische Selbststilisierung Peter Bezručs als Barde eines aussterbenden Stammes sollte Bestandteil des Mythos über Trotz und Revolte des schlesischen Volkes sein. Bezruč drückt sich nicht nur allegorisch aus, sozusagen in allen Gedichten kann man deren konkreten Schauplatz bestimmen. Neben der dokumentarischen Eigenschaft und dem regionalen Zeugnis sind es die symbolischen Visionen, die Hinwendungen zum Mythos, die balladenhafte Dichtung sowie die Angriffslust und die Dialogdramatik und deren Untermalung mit dem Dialekt, die aus Bezručs Gedichten ein außergewöhnliches Werk machen.
Letzte Aktualisierung des Artikels: 30.07.2012
Den gesamten Artikel ausdrucken